Vorwort

Vorwort

zur Ausgabe 1/2010 der Knastzeitung "Das Schloss"


Liebe Leser

Das Vorwort ist in der Regel von Traditionen bestimmt:

die letzte Ausgabe des Jahres reflektiert das Jahr mit seinen Ereignissen, die erste versucht sich mit einem Blick auf das Kommende. Dazwischen stellt das Vorwort oft nur eine erweiterte Verdoppelung des Inhaltsverzeichnisses dar. Bleiben wir bei der Tradition: Was erwartet uns 2010? Allgemein als Gefangene: Das seit Jahren politisch gewollte und in den letzten Jahren forcierte Hals - zu - drehen der Eingesperrten wird - vermutlich zur Mitte des Jahres - mit Einführung des HStVollzG seine gesetzliche Form finden. Anhebung der Jugendstrafe auf 15 Jahre - wie im Koalitionsvertrag zwischen CDU und FDP unter der Rubrik "Rechtspolitik" vereinbart - wird ebenfalls nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Bezüglich der SV werden sich die Herrschenden unter Anleitung + Beifall medialer Profi - Hetzer daran machen, schleunigst sog. "Schutzlücken im geltenden Recht" zu schließen, was nach der X-ten Verschärfung nach 1998 de facto dann dazu führen wird, dass SV für jeden und alles angesagt sein kann. Das allgemeine Prinzip "absolute Risikominimierung" wird in den Bereichen Strafvollstreckung und forensische - Prognostik weiter auf dem Durchmarsch sein und dabei viele von uns auf der Strecke bleiben ---. Und wir? Verpulvern unsere Energie in juristischen Kämpfen für X-Box und Bildschirmdiagonale, leisten der Stabilität und inneren Perfektion des Gefängnissystems tagtäglich brav unseren Beitrag, zerfleischen uns gegenseitig in kleinkarierten Auseinandersetzungen bis hin zu Denunziation und Verrat, definieren uns selbst als defekte Subjekte - jammern nach Reparatur durch Verhaltensingenieure. Also "the same procedere as every year" - auch 2010 nichts Neues. Unsere Zeitung: auch dieses Jahr wieder mehr oder weniger gelungene nette Beschreibungen einzelner herausragender Ereignisse wie Sommerfest mit Abfüttern und Tombola, Kulturtag zu Weihnachten etc.
Einen großen Raum werden wir auch dieses Jahr dem Wehklagen von Soziologen, Juristen, Psychologen widmen, die in tausenden Worten betrauern, dass Einsperrung inhuman ist, keine persönliche Veränderung in Gang setzt, dass rechtsstaatliche Grundsätze und humanistische Basics im Gefängnis verletzt werden... Kurz: das ganze Spektrum reformistischer Kritik, die seit Jahrhunderten die Verknasteten begleitet und von der man schon bei Ausspruch weiß, dass sie keine verändernde Kraft entfaltet. Aber man hat zumindest einmal darüber geredet. Und so werden wir auch 2010 nicht das sein, was dringend notwendig wäre: ein Forum, in dem sich Diskussionsprozesse entwickeln können, das Denkanstöße gibt, Einsperrung aus anderen Blickwinkeln zu betrachten, das uns endlich als DAS GEMEINSAME zusammen bringt, wie es seit ewig von der Institution gefürchtet wird, das uns selbst aus uns heraus Perspektiven entwickeln läßt, uns eben nicht im Kreislauf der Delinquenz zu verewigen.


Lutz Balding